Jazzthetik über "Klangbad: Avant-garde in the Meadows"
Vier Fäuste für ein Halleluja
Nachrichten aus der Provinz: Unsere liebste, weil aktivste Krautkapelle hat gleich vierfach zugeschlagen: Eine Doppel-CD mit brandneuem Faust-Material und eine DVD mit zwei Konzertfilmen, daneben stehen in Kooperation mit Play Loud wieder diverse Re-Issues aus den frühen Siebzigern auf CD, Vinyl und via Download an.
Konzentrieren wir uns aber auf die Neuigkeiten. Dietmar Post und Lucía Palacios, die 2008 für ihr Bandportrait Monks – The Transatlantic Feedback verdienterweise den Grimme-Preis kassierten, haben 2005 ihre Ausrüstung nach Scheer geschleppt und in guter Festival-Tradition das zweite der seitdem zuverlässig alljährlich stattfindenden Klangbadfestivals dokumentiert. Konnten sie beim Monks-Coup noch mit jeder Menge Archivmaterial und prominenten Interviewpartnern beeindrucken, waren sie in Scheer auf die Mittel des »Direct Cinema« zurückgeworfen, ein Hauch von Woodstock liegt also über den ersten Bildern – abzüglich der Menschenmassen. Es hilft, dass Organisator und Oberfaust Jochen Irmler daran erinnert, dass dieses Festival ja doch eher als ausgelagertes Wohnzimmer fungiert denn als unübersichtliches, sanitär bedenkliches Massenereignis.
Kurz und undankbar: Alle die nicht dagewesen sind oder später kamen, dürfen sich zumindest bei den ersten der chronologisch eingefangenen Auftritten damit trösten, dass sie auch nicht besonders viel verpasst haben, Minit verharren konzentriert über ihren Geräten, als würden sie ihren Lieblingshamster am offenen Herzen operieren, was möglicherweise interessanter geklungen hätte. Jutta Koether liest irgendwas und spielt irgendwelche Keyboard-Presets, Steven W. Lobdell ist ein guter Gitarrist, Cpt. Howdy hab ich nie verstanden. Entschädigt wird das kritische Ohr durch schöne Beiträge von Circle, Nista nije Nista und natürlich Faust selbst. Die Band spielte nach Einbruch der Dunkelheit ein Konzert, das als separater Film dokumentiert wurde, - und es war vom ersten Moment an intensiv, grob und herrlich. Lachhaft naive Mittel verzahnen sich mit intuitiv-genialen Manövern zum gewaltigen, himmlisch dröhnenden Markenzeichen-Sog.
Für eine neue Balance im Gefüge sorgt Schlagzeuger Jan Fride, der das Dampfwalzenspiel des ausgeschiedenen (oder eher: abgespaltenen) Zappi Diermeier durch eher filigranes, auch mal an This Heat oder Jaki Liebezeit erinnerndes, ja zur Funkyness tendierendes Drumming ersetzt. Auf der Bühne klingt das manchmal etwas zu konventionell, aber vergessen wir nicht, dass Faust ja auch noch eine Doppel-CD am Start hat, die die seitdem vergangene Entwicklung dokumentiert. Ja, Entwicklung. Faust Is Last ist so schroff, laut und faustisch wie gewohnt und geschätzt, aber die Kanten sind schärfer geworden, das Dickicht transparenter, der Sound klarer und härter. Wo früher vor allem Irmlers Reibeisensounds für Mulmen und Matschigkeiten in den Mitten sorgte, zeichnet diese Doppel-CD ein kompakter, unmittelbarer Rock-Wumms aus, den man ruhig bis zu den einflussreichen Monks zurückverfolgen kann, was die frisch eingetroffenen Re-Issues auch belegen. Faust Is Last ist die zweistündige Meditation über das Thema »Überbeat«, definitiv geiler als die neuen Sachen von AC/DC, spannender als Wolf Eyes et al., so konsequent wie Irmlers Solo-Arbeit Lifelike und dabei so kollektiv und kompakt wie, nun ja, eine geschlossene Faust.
Eric Mandel
Klangbad: Avant-Garde in the Meadows / Faust: Live
DVD
Spieldauer:180:00
Play Loud
Faust
Faust Is Last
2 CDs
Klangbad
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