Ellen Wietstock von der Fachzeitschrift Black Box interviewt Dietmar Post
Aus
dem Produktionsalltag eines unabhängigen Filmemachers
Ein
Gespräch mit dem Berliner Filmemacher und Produzenten Dietmar Post. (www.playloud.org)
Ellen Wietstock: Was
bedeutet es, heutzutage Autorenfilmproduzent zu sein?
Dietmar Post: Wenn
man sich mit Kollegen austauscht, stellt man fest, dass sich alle unsere Erfahrungen
in etwa gleichen. Es gibt Leute, die sind drin, und Leute, die sind draußen. Es
existiert in Deutschland keine Underground-Filmszene. Das hängt meiner Meinung nach
damit zusammen, dass die Filmförderung relativ schnell installiert wurde – mit
dem Oberhausener Manifest war auch der Underground tot. Selbst die radikalsten
Experimentalfilmer sind irgendwann integriert und in den Apparat aufgenommen
worden. Das ist durchaus positiv. Nur es verführt zur Bequemlichkeit. Ganz anders in den USA, dort stellen Filmemacher wirklich
unabhängig von der Förderung und der großen Industrie Dinge auf die Beine. Hier
gibt es nur sehr wenige Filmemacher, die wirklich komplett unabhängig arbeiten.
Ellen Wietstock: Wer
gehört für Dich dazu?
Dietmar Post: In
den 1980-er Jahren waren das die Leute um die Tödliche Doris, Jörg Buttgereit, Vlado
Kristl, Matthias Müller, Peter Sempel. Selbst Helge Schneider ist aus der Kleinkunst- und Underground-Szene
in den Mainstream gewandert. Wo sind die Vertreter der heutigen Generation?
Ellen Wietstock: Matthias
Müller macht noch regelmäßig Filme.
Dietmar Post: Ja, er
macht hervorragende Filme. Viele Kollegen kennen Matthias Müller gar nicht. Aber
Matthias ist auch kein typischer Undergroundfilmer. Er stammt aus der
Braunschweiger Filmklasse von Birgit Hein. Ich selbst stamme aus der Punk- und
DIY (Do-It-Yourself)-Generation. Mir muss niemand sagen, wer ich bin, das
entscheide ich allein. Ich brauche keine Filmschule, sondern nur den Willen und
die Möglichkeit des Ausprobierens. Das Kleine Fernsehspiel bietet ja diese
Möglichkeit und noch ein paar andere sehr kleine Redaktionen. Aber das ist
alles viel zu wenig.
Ellen Wietstock: Und
Talent kann auch nicht schaden.
Dietmar Post: Sicher,
aber das Verhältnis lautet: 10% Talent und 90% harte Arbeit. Ich fühle mich
eher dem Denken und Handeln der Autorenfilmer-Generation verpflichtet. Rainer
Werner Fassbinder, Werner Herzog und Konsorten waren auch alles Do-it-yourself-Typen.
Es gibt eine schöne Anekdote: Fassbinder bittet Herzog, seinen nächsten Film zu
produzieren, und Herzog antwortet: „Rainer, Du kannst ein Gewerbe anmelden. Das
kostet 20 Mark. Und dann machst Du das selber.“ Heute gibt es in Deutschland
unzählige Filmhochschulen, die direkt für die Filmindustrie ausbilden.
Ellen Wietstock: Die
es ja in Deutschland im Grunde gar nicht gibt.
Dietmar Post: Doch,
die gibt es schon, auch die Autoindustrie und Banken werden subventioniert.
Denn der Kapitalismus funktioniert ja nicht wirklich. Selbst in dem
kapitalistischsten Land der Welt, in USA, schaffen es nur wenige Filme, ihr Geld einzuspielen. Es kommen bekanntlich nur etwa 10% der
US-amerikanischen Produktion in die Kinos.
Ellen Wietstock: Lass
uns noch einmal auf die Filmausbildung zurückkommen. Ich habe eher den
Eindruck, dass die Filmhochschulen für das Fernsehen ausbilden und weniger für
die Kinofilmproduktion.
Dietmar Post: Ich
sehe in deutschen und internationalen Spielfilmen eine Ästhetik, die eigentlich
der Werbung entlehnt ist. Ich sehe Werbefilmer, die Spiel- und zunehmend auch
Dokumentarfilme machen, kaum noch Schriftsteller, bildende Künstler oder
Self-Made-Leute, einfach immer weniger experimentierfreudige und künstlerische
Filmemacher. Heute hat auf Festivals, in den Fernsehsendern und bei den Filmförderern
ein „Werbesprech“ Einzug gehalten. Es geht nur darum zu beweisen, dass man der
beste Verkäufer/Künstler ist, derjenige, der am besten dieses Projekt
bewerkstelligen kann. Es ist ein heftiger Konkurrenzkampf ausgebrochen. Nehmen
wir zum Beispiel das Pitchen – ich würde mir wünschen, dass Harun Farocki einen
Film darüber gemacht hätte. Wie die Leute sich anbiedern und verkaufen, das ist
nicht auszuhalten. Es geht dabei nicht mehr um die grundsätzliche Idee, sondern
nur noch darum, dass sich jemand selbst produziert. Die Schuld liegt bei den
Festivals und bei den Filmhochschulen, die genau diese Dinge forciert haben.
Ellen Wietstock: Das
Ganze lief seinerzeit unter Professionalisierungskampagne.
Dietmar Post: Mittlerweile
geht es doch nur noch um die Quote und wie viele Zuschauer ein Film erreicht. Ich
finde es erschreckend, dass der ‚Spiegel’ schreibt, wie ungerecht es sei, dass Fuck You Göhte bei der Verleihung des
Deutschen Filmpreises wieder nicht mit einem Preis bedacht wurde. Es gab Interviews
mit Til Schweiger, in denen er sich über Filme lustig macht, die ihr Geld nicht
wieder einspielen. Ich als Filmarbeiter muss
Til Schweiger nicht doof finden, der gehört für mich mit zum Filmgeschäft; er
beschäftigt Beleuchter, Ausstatter usw. Ich finde es aber unanständig, wenn
diese gleichen Leute, die gut für das deutsche Filmgeschäft sind, weil sie Jobs
schaffen, sich im Verbund mit einigen Journalisten über Leute mokieren, die
andere Filme machen. Wenn es im ‚Spiegel’ heißt: In diesem Jahr gehört zu den
Nominierten auch Fuck you Göhte, eine Schulkomödie mit großartigen Dialogen,
mehr als sieben Millionen Besucher. Fuck you Göhte ist auch der beste Spielfilm
des Jahres. Und weiter: Keine Stilübung wie Das
finstere Tal, 88.000, Kein Weltekelwerk wie Finsterworld 70.000 Besucher, kein Bauerntheater wie Die andere Heimat. 119.000 Besucher.
Einfach eine Komödie, die den Zeitgeist trifft, ohne sich anzubiedern.“ Einen
Film von Edgar Reitz als Bauerntheater abzutun, regt mich einfach auf.
Es geht nur noch Da ist etwas
geschehen, was es vor 20, 30 Jahren nicht gegeben hat - auch in den Medien. Es
geht
noch um Zahlen nur noch
um Zahlen, alles andere ist uninteressant. Für mich hat diese Haltung auch
damit zu tun, wie die Filmförderer mit den Filmemachern umgehen. Ich muss mir
als Dokumentarfilmemacher von der Filmförderung sagen lassen, wenn es
Schwierigkeiten mit der Finanzierung gibt, gehen Sie doch zu Herrn X oder Y,
der ist berühmt. Was soll das nützen? Die deutsche Filmförderung krankt daran,
dass man entweder einen Sender oder eine Verleihfirma haben muss. Sender und
Verleihfirmen werden in den nächsten zehn Jahren obsolet sein. Es geht einzig
und allein darum, eine gute Idee zu haben, alles weitere kann man allein
bewerkstelligen. Wenn man das aber behauptet, wird man bei den hiesigen
Filmförderinstitutionen abgelehnt. Ein Beispiel: Unser Konzept sah vor, dass
wir in das Produktionsgeld direkt eine Vermarktung mit hinein kalkulieren, so
wie es in Hollywood auch gehandhabt
wird. Dann braucht man keine Verleihfirma, sondern stellt seinen Film parallel
zum Kinostart ins Netz. Mit den 50.000 Euro, die man zusätzlich in das Budget
mit einkalkuliert, finanziert man die Auswertung. Die Förderapparate sind
meiner Meinung nach zu behäbig. Es gibt kaum Dokumentarfilme, die ihr Geld
wieder einspielen, bestenfalls ein geringer Prozentsatz. Noch nicht einmal die
großen Dokumentarfilme wie die von Volker Koepp schaffen das. Das kann nur
subventioniert funktionieren. Was soll denn falsch sein an Kulturförderung?
Ellen Wietstock: Aber
da ist kein Unterschied zum Spielfilm. Alles ist subventionert. Denn was fließt
aus den Publikumserfolgen tatsächlich wieder zurück?
Dietmar Post: Warum
wird bei der Filmförderung zunehmend auf das Verkaufsargument geschaut? Ich
glaube, wir müssen zurück zu dem, was einmal die kulturelle Filmförderung der
Filmbüros war. Wir brauchen klar voneinander getrennte Fördertöpfe. Das
Medienboard Berlin-Brandenburg versucht es ja mit der
ArtCore-Förderung.
Ich habe zuweilen den Eindruck, dass sich einige Mitarbeiter der
Förderinstitutionen über den Filmemacher stellen, sie lassen einen spüren, dass
sie am Machthebel sitzen. Das halte ich für gefährlich, denn diese Mitarbeiter
werden ja von unseren Steuergeldern bezahlt, sie haben für die Filmarbeiter
Dienstleister zu sein. Ich vermisse Respekt den Kreativen
gegenüber.
Ich möchte, dass die Förderer sehen, was Film-Leute, die nicht die etablierten
Wege gehen, seit 20 Jahren relativ unabhängig von der offiziellen Welt auf die
Beine stellen - die Amerikaner nennen es body of work - aber das spielt bei
denen alles keine Rolle. Die Talentförderung in den meisten westeuropäischen
Ländern halte ich für rassistisch, weil sie nur auf Jugendlichkeit setzt, dabei
können frische und gute Ideen durchaus von sehr alten Menschen kommen. Es gibt
auch an den Filmhochschulen unvertretbare Altersbegrenzungen. Für mich sind das
Dinge, die auf strukturelle Schwachstellen hinweisen.
Ellen Wietstock: Welche
Probleme gibt es für Dokumentarfilmproduzenten bei den öffentlich-rechtlichen
Sendern?
Dietmar Post: Ich
bin noch mit einem hervorragenden Fernsehprogramm aufgewachsen. Montagabends
konnte ich den neuesten Bertolucci-Film sehen, es gab experimentelles Theater, und
zwar um 20.15 Uhr. Ich stamme aus einem Arbeiterhaushalt, und auch meine Eltern
haben jeden Fassbinder-Film gesehen. Sie kannten das deutsche Kino jener Zeit
sehr gut, weil es auch im Fernsehen lief. Heute kennt außerhalb der Filmbranche
kaum noch jemand Regisseure wie Christoph Hochhäusler, Hans-Christian Schmid
und Christian Petzold. Dabei sollten diese Leute doch das Aushängeschild des
deutschen Films sein – aber auch deren Filme laufen um Mitternacht. Ein Armutszeugnis.
Über die Dokumentarfilmemacher brauchen wir erst gar nicht reden.
Die
Sender sind zur reinen Abspielstation geworden. Wir haben letztes Jahr einen
Film über Donna Summer für ARTE/ZDF gemacht. Ein schönes Projekt, das zunächst
von ARTE/SWR auf die lange Bank geschoben und schließlich abgelehnt wurde. Auch
ein großer Produzent wollte mit einsteigen, aber für uns zu unannehmbaren
Bedingungen. Dann war dieser Film endlich fertig, erreichte bei der
Ausstrahlung 150.000 Zuschauer, aber nach Fertigstellung eines Films kümmern
sich die Sender nicht mehr. ARTE hat allgemein ein Einschaltquote von unter 1%
und erreicht damit nicht das kulturell und gesellschaftlich interessierte Zielpublikum,
welches in Deutschland 10% der Bevölkerung ausmacht. Wenn man eine
Zuschauerzahl von 150.000 (ca. 1%) erreicht, dann ist es doch egal, ob 110.000
oder 120.000 oder 200.000. Wir als
kleine Produzenten müssen dann auch noch Werbung dafür machen. Alle Artikel, die
in der Presse über unseren Film erschienen sind, haben wir selbst generiert. Dennoch
muss man ARTE und 3sat in Schutz nehmen, weil man deren Budgets trotz
steigender Gebühreneinnahmen kürzt. Warum denn bloß? Wir Dokumentarfilmer sind
der Gradmesser für eine funktionierende Demokratie. Aber man gräbt fleißig das
Grab für die letzten aufrechten Redaktionen und die von ihnen abhängigen
Filmer. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen hat einen Informations- und
Bildungsauftrag. Diesem kommt es nicht nach. Stattdessen formatiert man die
Sendungen wie es bei großen Ladenketten wie McDonalds der Fall ist. Jeder Film
soll gleich schmecken. Bitte keine Reklamationen.
Formate, Formate! Viele World Sales
Companies im Dokumentarbereich schauen mittlerweile nur noch aufs Format. Der
Filmemacher als solcher ist uninteressant. Sie arbeiten wie eine Schraubenfabrik,
da ist die Schachtel für 52 Minuten, da die 43er. Es wird einem von den World
Sales Agencys nahegelegt, den Film auf 52 Minuten zu kürzen. Klar, dass die
Firmen Geld verdienen müssen. Andererseits sind diese Kürzungen für den
Filmemacher unzumutbar in einer digitalen Welt, wo Längen und Formate egal
sind. Außerdem sind die Summen, die inzwischen für fertige Filme gezahlt werden
so gering, dass man nur noch lachen kann. Unser Grimme-Preis-gekrönter Film
über die Monks hatte erfolgreiche TV-Ausstrahlungen, Kinostarts in den USA,
Deutschland und Großbritannien. Das Goethe-Institut schickte uns in die USA und
nach Australien. Das war alles sehr positiv, wenn auch nicht viel Geld dabei
herauskam. Dann wollte ZDFkultur den Film gerne noch fünf- bis zehn Mal
Preispolitik der ausstrahlen.
Dafür wurden uns 2.000 Euro angeboten. Wir haben uns auf 3.000 Euro geeinigt. 3.000
Sender Euro für einen
100minütigen Film. Das kann doch nicht sein, wenn gleichzeitig die Sender für
eine Minute Archivmaterial, die in einem Dokumentarfilm verwendet werden soll,
die gleiche Summe aufrufen.
Mit
der Gründung der Sender 3sat und ARTE vor ca. 20 Jahren haben ARD und ZDF eine neue
Sparte geschaffen – und sich damit aus der Verantwortung gestohlen, indem sie einerseits
so das Entschuldigungsfernsehen etabliert und anderseits die Produktionsbudgets
halbiert haben. Die Zersplitterung in weitere Unterspartenkanäle wie ZDKkultur
bedeutet für uns Produzenten, dass man uns für einen 90-minütigen Film zwischen
1.000 und 500 € anbietet.
Hinzu
kommt, dass die letzten Dokumentarfilmredaktionen unter Druck geraten sind. Es
ist, als hätten Großkonzerne ihre Controller losgeschickt, um alles
abweichende, nicht Quote bringende aus dem System zu entfernen. Ich bin ein
großer Verteidiger des suchenden und forschenden Dokumentarfilms, aber inzwischen
wollen die Sender, die Förderer, Festivals und Verleiher den gescripteten, also
den geplanten, Dokumentarfilm. Und nicht die ausführliche Recherche, keine
forschenden und fragenden und nicht auf alles eine Antwort wissenden
Filmemacher. Eine solche Haltung hätte keine Filme von Agnes Varda, Eberhard
Fechner, Klaus Wildenhahn, DA Pennebaker oder Maysles Brothers hervorgebracht. Oder
wie Wildenhahn sagte: der offene Dokumentarfilm ist im Grunde wie Free-Jazzmusik
– live gespielt, wo auch Fehler zugelassen sind, was für mich eine Art von
Poesie hervorbringt.
Werbesprech wie Mich stört sehr, dass
sich bei vielen Redakteuren der „Werbesprech“ durchsetzt, zum Beispiel „Wir
bei RTL müssen emotionalisieren“. ARTE verlangt von Sprechern, die Stimme zu
„rtl-lisieren“. Interviews sollen konsequent und durchgehend mit Musik unterlegt
werden. Fotos gehören animiert und Archivmaterial muss im 16:9-Format
präsentiert werden. Diese ästhetischen Eingriffe verändern den Inhalt und haben
nichts zu tun mit einem demokratischen und aufklärerischen Fernsehen. Im
Gegenteil, man biedert sich dem neoliberalen TV (von Pro7
bis Spiegel TV) an. Inhalte verschwimmen und ersaufen so in einer Ästhetik der
sich ständig bewegenden und mit Weichfilter
Nur noch bestückten Kameras. Untermalt wird das Ganze mit esoterischer und
sphärischer Fahrstuhlmusik,
Fahrstuhlmusik die Spannung
erzeugen soll und gleichzeitig alles zu einem Einheitsbrei verrührt. Nichts ist
mehr von nichts unterscheidbar. Man kommt nie zur Ruhe und damit nie zur
Reflexion. Selbst bei Dokumentarfilmen erwarten die Sender
heutzutage Helden und ein Happy End. Sie wollen keine „normalen“ Menschen mehr,
sondern nur noch außergewöhnliche.
Die Nutzung Ein weiteres großes Problem
besteht in der Nutzung der Archive des öffentlich-rechtlichen
der Archive Fernsehens.
Bis vor einiger Zeit gab es den sogenannten Programmaustausch. Egal, für
welchen Sender man arbeitete, man hatte kostenlosen Zugriff auf das komplette
Archivmaterial aller Fernsehanstalten. Dies gilt jetzt, nachdem der NDR diesen
Austausch aufkündigte, nur noch bedingt für komplette Auftragsproduktionen. Wir
waren der erste Fall, der unter diese neue Regelung fiel, und plötzlich standen
wir vor einer Finanzierungslücke von ca.
30.000 €. Die Lizenzabteilung eines Senders, der auch gleichzeitig Koproduzent
war, wollte das von uns benutzte Archivmaterial bezahlt haben – eine für uns
völlig unverständliche Reaktion. Wir hatten Filmförderung in dem gleichen
Bundesland bekommen. Letztlich wurden die Kosten für die Archivnutzung von der
Filmförderung getragen. Das heißt, die Filmförderung hat den koproduzierenden
und ortsansässigen Sender, genauer deren Lizenzabteilung für das sendereigene
im Film verwandte Archivmaterial bezahlt.
BBC öffnet Im Ausland
schaut man nach vorn, bei uns gehen die
Fernsehanstalten drei Schritte zurück. Die
ihre Archive BBC
öffnet ihre Archive für die Zuschauer. Von der BBC vollfinanzierte Sendungen kann
man sich umsonst anschauen. In Amerika machen sich Michael Moore und andere
Filmemacher für ein Fair- Use-System stark, eine Art Zitatrecht nach dem man
gewisses Bild- und Tonmaterial in einer gewissen Länge kostenfrei nutzen kann.
Das ist etwas längst Überfälliges für den investigativen und wissenschaftlich arbeitenden
Dokumentarfilm. Bei uns zahlt der Dokumentarfilmemacher aus seinem knappen
Budget für jeden Archiv-Schnipsel. Das muss hinterfragt werden. Da es so viele
Probleme zu bewältigen gibt und die öffentlich-rechtlichen Sender ihr
eigentliches vom Gesetzgeber klar festgeschriebenes Aufgabenfeld fast komplett
verlassen haben (bis auf Die Sendung mit
der Maus), empfehle ich dringend,
sich in der Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm zu engagieren.
Ellen Wietstock: Welche
Chancen siehst Du für die Dokumentarfilmer in der Digitalisierung?
Dietmar Post: Für
mich ist die digitale (R)evolution ein echter Umsturz, der allerdings in Europa
nicht wirklich wahrgenommen wird, in USA dagegen sehr wohl. Dort wird die Schein-Demokratisierung,
die mit der Digitalisierung einhergeht, eher goutiert/genutzt. Der Filmemacher
ist eigentlich zum Schriftsteller geworden und das Produzieren ist billig
geworden – wie ein Schriftsteller, der ein Blatt Papier und einen Bleistift
braucht. Meine kleine Digital-Kamera ist mein Bleistift, und mein Laptop ist
mein Blatt Papier. Für jeden machbar. Beuys und Warhol hätten sich gefreut.
Warhol war vielleicht der beste Dokumentarfilmer überhaupt (Zitat frei nach
Warhol): „Filmemachen ist ganz leicht. Man stellt die Kamera auf und drückt auf
Start. Zu Ende ist der Film automatisch, wenn die Filmrolle leer ist.“
Ellen Wietstock: Mit dem Argument, dass das
Produzieren jetzt günstiger sei, senken die Förderer häufig die Fördersummen
für die einzelnen Projekte.
Dietmar Post: Das
ist richtig, die Budgets wurden teilweise um die Hälfte gesenkt, und da sind
viele der älteren Kollegen ausgestiegen, denn wer will schon ein Jahr lang für
15.000 € arbeiten. So ist man in Europa mit diesem Phänomen umgegangen. In
Amerika hingegen, wo es natürlich fördermäßig ansonsten der Graus ist, hat man auf
die technische Veränderung reagiert. Dort gibt es ja keine Filmförderung in dem
Sinne, aber verschiedene kleine Töpfe wie den Endowment for the Arts,
Film funktioniert Sundance
Film Fund und andere. Diese
Institutionen haben sofort erkannt, dass Filmemachen in
wie Kunst
Zukunft so funktionieren wird wie andere Kunstgattungen. Man könnte
beispielsweise mit einem Jahresstipendium sehr billige Filme produzieren. Man
zahlt den Filmemachern ein Jahr lang die Miete, das Essen und gibt ihnen einen
weiteren kleinen Zuschuss und in diesem Jahr erstellt er/sie einen Film.
Sinnvolle Förderung: Die schwierigste Phase beim
Dokumentarfilm ist das Stadium, in dem die Idee Gestalt annimmt und
Seed Money und die
Recherche beginnt. In Amerika gibt es zwar kaum Produktionstöpfe, aber „seed
money“, das
Completion Money heißt, man
erhält für eine gute Idee zwischen 10 und 50.000 €. Damit kann man loslegen. In
einem späteren Stadium gibt es „completion money“ bei der Vorlage einer
Rohschnittfassung von vier oder fünf Stunden 30.000 bis 80.000 Dollar, um den
Film fertigzumachen. So sieht für mich eine kluge und sinnvolle Filmförderung
aus. Aber leider kommt bei uns von Seiten der Förderer keine Reaktion auf
derartige Verbesserungsvorschläge. In Deutschland muss die Idee bereits mit
einem Sender und einem Verleiher abgestimmt sein. Die verbiegen aber manchmal
schon die Geschichte. Hinzu kommt, dass man als leidenschaftlicher Filmarbeiter
für seinen Enthusiasmus bestraft wird. Wir mussten uns von einem Mitarbeiter
der Filmförderung sagen lassen, dass wir dumm gewesen sind, dass wir mit nur
30.000 € Media-Entwicklungsgeld einen ganzen Film gedreht hätten. Man hätte
lieber gesehen, dass wir das Projekt abbrechen. Junge und alte Talente werden
Filme machen, wie man früher Bücher geschrieben hat. Man legt einfach los. Es
wäre auch für Förderer und TV-Leute einfacher Filme zu fördern, die fast fertig
sind. Dort kann man doch sehen, ob es eine schöne Geschichte wird oder nicht.
Ich rate jungen Filmemachern immer zum „eigenen Weg“.
Ellen Wietstock: Wie
siehst Du die Zukunft des Kinos?
Dietmar Post: Da
bin ich kein Fachmann oder Prophet. Aber auch viele Kinos und Verleihfirmen
haben meiner Meinung nach die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Dabei braucht man
nur einen Blick auf die Musikindustrie zu werfen. Große Popstars wie Madonna
sind bei keiner Plattenfirma mehr unter Vertrag, und selbst die Berliner
Philharmoniker unter Simon Rattle haben sich nach über 100 Jahren von der
Deutschen Grammophon getrennt und ihre eigene Plattform gegründet. Als EMI vor einigen
Jahren aufhörte, Platten zu produzieren, war klar, dass niemand mehr Platten
kaufen wird. Das Unternehmen lebt nur noch von den Musikrechten. Alle großen
Bands gehen den gleichen Weg. Plattenfirmen sind nichts anderes als Promoter
und Verleiher. Unsere Firma play loud! productions arbeitet mit Vertriebsfirmen,
die unsere DVDs in die Läden bringen und die unsere Filme und Musik
zum
Download und als Stream weltweit anbieten. Wir brauchen keine klassische Verleihfirma
mehr. Die physischen Produkte hören demnächst ohnehin auf zu existieren - es
sei denn, man macht spezielle Sachen wie ein Cover mit Zeichnungen von Daniel
Richter und als Bonus-Material eine Vinyl-Single, spezielle Sammlerobjekte. Aber das ist ein kleiner Markt, den wir als Amateure (von lateinisch amator ‚Liebhaber‘)
gerne bedienen. Jeder kann jetzt im Netz eine eigene
Plattform herstellen und seine Produkte, Filme, Platten und Bücher direkt an
den Kunden weiterverkaufen. Im Grunde schlägt die Stunde der Tante-Emma-Läden.
Jedoch wollen viele Kunden eine Vereinheitlichung und setzen deshalb auf
Amazon, YouTube und iTunes. Diese multinationalen Konzerne haben aber gar kein
Interesse an Kultur und Demokratie. Das YouTube-Angebot besteht zu 2/3 aus
geklautem Material. Niemand regt sich darüber auf. iTunes und Amazon setzen
Vertriebsfirmen die Pistole auf die Brust und bestimmen die Preise. Kein
Widerstand. Ist doch alles schön bunt hier.
Kino als Ort Das Kino als Ort wird
überleben, es gibt ein Publikum, das mit den Filmemachern kommunizieren
der Kommunikation will. Auch
hier war die Musikindustrie Jahre vorher betroffen und die Konzertsäle sind trotz
Krise voller denn je. Menschen wollen unter Menschen sein und ausgehen. Das
Kino muss allerdings wieder politischer werden und dem Publikum etwas
abverlangen. Wir erleben gerade mit unserem Film Die Siedler Francos diese Rückbesinnung auf das Wesentliche des
Kinos oder auch anderer Ausdrucksformen. Wir haben aufgrund des Versuchs der
Zensur ein „ambulantes Kino“ (so etwas fördert die deutsche Filmförderung
nicht, weil das unprofessionell ist) organisiert und fahren in Spanien übers
Land und in die Städte und zeigen den Film in kleinen Kulturzentren,
Nachbarschaftsvereinen, Kinoclubs (die zu Zeiten der Diktatur verbotene Filme
zeigten), Museen, Stadthallen, Buchläden, Kinos, Schulen, Dorfplätzen, Universitäten
und überall dort, wo man uns einlädt. Wir hatten schon jetzt mehr Zuschauer als
der durchschnittliche Kinodokumentarfilm. Dies ist sicherlich mehr wert als 1%
Einschaltquote und 1 Millionen Klicks auf YouTube, denn jede Aufführung zieht
eine lange und ausführliche Debatte über den Film und das Thema des Films nach
sich. Wir müssen wieder über die gesellschaftlich relevanten Themen reden.
Dieses „ambulante Kino“ ist nachhaltig. Vieles von dem, was den Markt-, Sender-
und Förderrichtlinien folgt, ist es leider nicht.
Die gedruckte Version dieses Interviews gibt es unter
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