Schwäbisches Tagblatt bespricht "Die Siedler Francos"

Los Colonos del Caudillo / Die Siedler Francos

Dokumentarfilm über ein Siedlerdorf, das während der Franco-Diktatur gegründet wurde, um dort den neuen faschistischen Menschen zu schaffen.
Spanien 2013

Hitlerdorf? Città del Mussolini? In Deutschland und Italien gibt es derlei aus guten Gründen nicht. Anders in Spanien, wo die bis 1975 regierenden Klerikal-Faschisten zwar nicht Millionen, aber doch weit mehr als 100 000 Menschen umgebracht haben. So existiert in der Provinz La Mancha bis heute die Ortschaft „Llano del Caudillo“ (Ebene des Führers) zu Ehren des Diktators Franco. Das Dorf, dessen Ortsschild sie zufällig auf der Durchreise gesehen haben, hat das spanisch-deutsche Regie-Duo Lucia Palacios und Dietmar Post inspiriert, einen Dokumentarfilm über den Umgang der Spanier mit ihrer Vergangenheit zu machen.
„Llano del Caudillo“ ist eines von mehreren hundert Retortendörfern, die in den fünfziger Jahren von der spanischen Regierung in die Landschaft gepflanzt wurden. Eines der Ziele war, dort einen neuen Menschentypus heranzuziehen - nach faschistischem Verständnis ein gebeugter und gehorsamer Untertan. Entsprechend ist den Siedlern, die meisten waren treue Franco-Anhänger, der Umzug nicht gut bekommen. Der Alltag wurde hier noch drastischer reglementiert als andernorts („wie in einem KZ“, erinnert sich ein Veteran), die Erlöse der Landwirtschaft gingen größtenteils an den Staat. Die Folge: Seit dem Ende der Diktatur wählen die Bewohner stramm rot. Andererseits sprach sich in einem Referendum eine Mehrheit dagegen aus, den Ort umzubenennen. Das habe Franco auch wieder nicht verdient, hieß es.

Mit einer beeindruckenden Collage aus Zeitzeugen-Interviews, Fotografien und Ausschnitten aus alten (Propaganda-)Filmen rekonstruieren Palacios und Post den faschistischen Alltag im ländlichen Spanien. Vor allem aber dokumentieren die Gespräche mit Einwohnern, vom sozialistischen Neu- bis zum franquistischen Alt-Bürgermeister, beispielhaft die Zerrissenheit der spanischen Gesellschaft, was die Beurteilung der Verbrechen unter Franco angeht.

Festivalleitung würgt Zensurdebatte ab

Noch immer sind die Rechten unverhohlen stolz auf die Vergangenheit, noch immer trauen sich die Linken kaum, sie in die Schranken zu weisen. Der Deal von 1975 – Demokratie gegen Stillhalten – scheint unverändert zu gelten. Ob es darüber hinaus nötig war, prominente Altpolitiker wie den früheren sozialistischen Premier Felipe Gonzales oder den ewig gestrigen Franco-Vertrauten José Utrera Molina zu befragen, darüber kann man streiten – zum Beispiel am Samstagabend (8. Dezember), wenn die Regisseure den Film beim Cine Español im Kino Arsenal (19.30 Uhr) vorstellen.
„Los colonos del caudillo“ ist mitnichten der erste Film zur spanischen Vergangenheitsbewältigung, wohl aber, so Dietmar Post gegenüber dem TAGBLATT, einer der wenigen, in dem auch die Täter und deren Apologeten ungefiltert (will heißen: in ihrer ganzen Dreistigkeit) zu Wort kommen. Wohl deswegen wird er in rechten Kreisen nicht gern gesehen: Kurz vor der Premiere im Oktober beim zweitgrößten spanischen Filmfest in Valladolid wurde den Regisseuren „glaubwürdig“ (Post) gedroht, den Film verbieten zu lassen. Noch mehr erschüttert hat den Berliner Filmemacher, dass die Festivalleitung eine Debatte über den „Zensurversuch“ im Keim erstickt hat. „Es herrscht immer noch große Angst, über dieses Thema offen zu sprechen“, glaubt Post.
Andererseits sei „Los colonos del caudillo“ der bestbesuchte Dokumentarfilm des Festivals gewesen. Ob er in Spanien einen Verleih bekommt, ist – nicht zuletzt aufgrund der desolaten Lage der Filmwirtschaft – jedoch fraglich. Darauf warten wollen Post und Palacios jedenfalls nicht, sondern demnächst mit einem mobilen Kino übers Land fahren und die Debatte „vor die Haustür“ der Leute tragen. So wie es Federico Garcia Lorca und andere in den dreißiger Jahren mit dem Theater vorexerziert haben – ehe Francos Schergen dieser Basis-Kulturarbeit den Garaus machten.

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