EPD Medien über Deutsche Pop Zustände
Kluge Fragen
Ein Kritik von Christian Bartels, EPD-Medien 13. November 2015„Deutsche Pop Zustände"
Dokumentarfilm
Regie und Buch: Lucia Palacios & Dietmar Post
Das Gesicht des ersten Gesprächspartners, später
als „Aussteiger“ aus dem rechtsextremen Spektrum
vorgestellt, verdeckt ein schwarzes Rechteck. Dabei
sitzt er ohnehin in einem abgedunkelten Raum, in dem
der Monitor eines Laptops die einzige Lichtquelle zu
sein scheint. Ein anderer Gesprächspartner sitzt mit
Sonnenbrille und Wollmütze am Schreibtisch, wobei
unklar bleibt, ob auch er sich vor Wiedererkennen
schützt oder ob es sich um modische Accessoires
handelt. Schließlich geht es außer um oft infame,
manchmal mörderische Songtexte etwa der gerichtlich
als kriminelle Vereinigung eingestuften Band Landser
auch um Popmusik. Und das Outfit harmoniert mit den
Tätowierungen des Mannes.
Viele weitere Gesprächspartner werden namentlich genannt und sind gut zu erkennen, der Bielefelder Sozialforscher Wilhelm Heitmeyer etwa, der seine These von der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit einbringt, und Henryk Gericke, Galerist und Buchautor („Ostpunk“). Gemeinsam ist ihnen, dass bei allen der Laptop auf dem Schreibtisch steht. Darauf spielen die Filmautoren audiovisuelles Material der 1980er, 1990er und folgender Jahrzehnte ab: Pop- und Rockmusik vor allem von Rechts. Die Gesprächspartner sehen und hören es sich an und kommentieren es.
An der Musik ist zu hören, wie extrem rechte Bands sich Muster des ursprünglich linken Punkrock (die Sex Pistols sind auch kurz zu hören) angeeignet haben, wie vor allem Gericke erläutert. An den meist auch in Schriftform eingeblendeten Texten zeigt sich, wie die Musiker im Lauf der Zeit lernten, Botschaften nur so weit anzudeuten, dass sie nicht mehr strafrechtlich relevant sind. Frank Rennicke, Liedermacher und NPD- Mitglied, erzählt, wie er bei einem Konzert mit der Anwesenheit der Polizei Späße trieb, indem er zur hörbaren Freude seines eigentlichen Publikums immer wieder auf Hitlers Geburtstag anspielte, bevor er sich mit einer „Schlusspointe“ auf die rechtlich sichere Seite begab. Zugleich läuft eine Liveaufnahme des Konzerts auf dem Laptop. Dass jede Menge deutschsprachige rechtsextreme Musik, ob justiziabel oder nicht, über YouTube immerzu überall verfügbar ist, ist schließlich auch ein Zeichen der Gegenwart.
Ihrem Titel wird die Dokumentation „Deutsche Pop Zustände“ gerecht, indem sie den Blick weiter aufzieht: Die Filmemacher spielen auch linken Hiphop und Punkrock ein, etwa von Slime und den Goldenen Zitronen. Nachdem in Rostock-Lichtenhagen der Mob tobte, wurde die „Poplinke“ ebenfalls kämpferisch, und gleichzeitig war Techno ein deutsches Massenphänomen. So entsteht nicht nur ein Überblick über jüngere deutsche Geschichte unter Pop-Prämissen, so entwickeln sich sehr gegenwärtige Diskursstränge. Wenn linke und rechte Motive sich bei Umweltschutz und Kritik an US-amerikanischer Politik treffen, irritiert das auch in der gerade sehr hochtourigen Diskussion um den Kampfbegriff der „Lügenpresse“ (der im konzentrierten Film nicht vorkommt, aber, wie vieles, mitschwingen kann).
Rennicke freut sich jedenfalls, wenn Xavier Naidoo, einer der erfolgreichsten deutschen Popstars, in seinen Hits rechte Positionen vertritt. Einen unkenntlich gemachten Ausstiegsberater irritiert der „diffuse Nationalismus“, den der Rapper Bushido, ebenfalls mit Migrationshintergrund, in einem „martialisch“ und „sexistisch“ inszenierten Musikvideo befördere. Die jüngste Diskussion um die Südtiroler Band Frei.wild, kommt auf dem Umweg über den Laptop sogar in Form von Rede und Gegenrede vor: Texte und Videos der Band zeugten von „völkischem Denken“ und von „Piefigkeit“, kritisiert der Experte mit der Sonnenbrille. Das sei „Geschmackssache“, entgegnet ein in genau dieser Diskussion sichtlich geübter Frei.wild-Musiker.
Wer recht hat, lässt der Film bei all diesen Fragen offen. Schließlich ist Musik, wie vieles andere, Geschmackssache. Und die nicht justiziable Anschlussfähigkeit nach rechts, das zeigt der Film, ist Erfolgsprinzip einiger deutschsprachiger Musiker. Wer kann schon entscheiden, ob im Text des Rechtsrock-Songs „Dönerkiller“„ Täterwissen“ der NSU-Mörder steckt oder ob die Mörder sich eher vom Song beeinflussen ließen.
Im Fernsehprogramm, das gerne Fragen beantwortet und unbeantwortbare lieber umgeht, ist diese Offenheit im Diskurs bei klarer Argumentationslinie bemerkenswert. Positiv fällt auch auf, dass sich die Produktion nicht so affirmativ aus dem ZDF-Programmarchiv bedient wie sonst üblich. Die NSU-Mordserie kommt auch in Form eines Ausschnitts aus der ZDF-Show „Akten Aktenzeichen XY ... ungelöst“ aus der Zeit vor, in der die breite Öffentlichkeit und Moderator Rudi Cerne nicht im geringsten von rechtsextremen Tätern ausgingen. Ähnlich aufschlussreich ist, wie Johannes B. Kerner im Rahmenprogramm der Fußball-WM 2006 vor einem vor schwarz-rot-goldenen Accessoires strotzenden Publikum wiederum Xavier Naidoo ankündigt. In den 1980ern dagegen, das hat der Film anhand alter Videoclips zuvor gezeigt, war die heute omnipräsente (schwarz-rotgoldene) Deutschlandfahne noch ein Accessoire der NPD.
„Deutsche Pop Zustände“ ist ein ungeheuer dichter, aus großem wie weitem Überblick entstandener, präzise argumentierender, Entwicklungen aufzeigender und kluge Fragen aufwerfender Film. Dass er wenige Antworten gibt, erhöht seine Wirkung. Wer ihn gesehen hat, kann lange über ihn diskutieren.
Und dass der Film auf seine puristische Weise exakt jenes Konstruktionsprinzip benutzt, das zahllose belanglose Musikshows privater wie öffentlich-rechtlicher Sender verwenden, um Hits einzelner Jahrzehnte in billig produzierten Unterhaltungssendungen wiederzuverwerten - Songs werden angespielt und „Zeitzeugen“ erzählen, was ihnen dazu einfällt - ist ein weiterer, vielleicht sarkastischer Kommentar der Autoren (die mit „Monks - The Transatlantic Feedback“ 2008 einen Grimme-Preis gewannen) zur Medien-Gegenwart.
Diesem Film, der seine Premiere am späten Mittwochabend bei 3sat (als letzter Beitrag des Themenabends „3sat thema: Rechts - extrem - gefährlich“) erlebte, ist ein langes Weiterleben in möglichst vielen Kontexten zu wünschen.
Veröffentlichung dieses Artikels mit freundlicher Genehmigung von:
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