Deutsche Pop Zustände Grimme-Preis Nominierung 2016

Der Film "Deutsche Pop Zustände" von Lucia Palacios und Dietmar Post ist für den Grimme-Preis 2016 nominiert worden. Es ist nach dem Gewinn des Grimme-Preises 2008 für "Monks: The Transatlantic Feedback" bereits die zweite Nominierung.

Alle Nominierungen für 2016

Das Plakat zum Film, welcher schon bald in ausgewählten Kinos zu sehen sein wird, schuf der Maler Daniel Richter, der auch schon für vorherige Filme von Post und Palacios für das Artwork verantwortlich war.

Der Film als VOD auf der play loud! Webseite

Kluge Fragen
Eine Kritik von Christian Bartels, EPD-Medien 13. November 2015 

„Deutsche Pop Zustände"

Dokumentarfilm

Regie und Buch: Lucia Palacios & Dietmar Post


Das Gesicht des ersten Gesprächspartners, später
als „Aussteiger“ aus dem rechtsextremen Spektrum
vorgestellt, verdeckt ein schwarzes Rechteck. Dabei
sitzt er ohnehin in einem abgedunkelten Raum, in dem
der Monitor eines Laptops die einzige Lichtquelle zu
sein scheint. Ein anderer Gesprächspartner sitzt mit
Sonnenbrille und Wollmütze am Schreibtisch, wobei
unklar bleibt, ob auch er sich vor Wiedererkennen
schützt oder ob es sich um modische Accessoires
handelt. Schließlich geht es außer um oft infame,
manchmal mörderische Songtexte etwa der gerichtlich
als kriminelle Vereinigung eingestuften Band Landser
auch um Popmusik. Und das Outfit harmoniert mit den
Tätowierungen des Mannes.

Viele weitere Gesprächspartner werden namentlich
genannt und sind gut zu erkennen, der Bielefelder Sozialforscher
Wilhelm Heitmeyer etwa, der seine These von
der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit einbringt,
und Henryk Gericke, Galerist und Buchautor („Ostpunk“).
Gemeinsam ist ihnen, dass bei allen der Laptop auf
dem Schreibtisch steht. Darauf spielen die Filmautoren
audiovisuelles Material der 1980er, 1990er und folgender
Jahrzehnte ab: Pop- und Rockmusik vor allem von
Rechts. Die Gesprächspartner sehen und hören es sich
an und kommentieren es.

An der Musik ist zu hören, wie extrem rechte Bands
sich Muster des ursprünglich linken Punkrock (die Sex
Pistols sind auch kurz zu hören) angeeignet haben,
wie vor allem Gericke erläutert. An den meist auch
in Schriftform eingeblendeten Texten zeigt sich, wie
die Musiker im Lauf der Zeit lernten, Botschaften nur
so weit anzudeuten, dass sie nicht mehr strafrechtlich
relevant sind. Frank Rennicke, Liedermacher und NPD-
Mitglied, erzählt, wie er bei einem Konzert mit der
Anwesenheit der Polizei Späße trieb, indem er zur
hörbaren Freude seines eigentlichen Publikums immer
wieder auf Hitlers Geburtstag anspielte, bevor er sich
mit einer „Schlusspointe“ auf die rechtlich sichere Seite
begab. Zugleich läuft eine Liveaufnahme des Konzerts
auf dem Laptop. Dass jede Menge deutschsprachige
rechtsextreme Musik, ob justiziabel oder nicht, über
YouTube immerzu überall verfügbar ist, ist schließlich
auch ein Zeichen der Gegenwart.

Ihrem Titel wird die Dokumentation „Deutsche Pop
Zustände“ gerecht, indem sie den Blick weiter aufzieht:
Die Filmemacher spielen auch linken Hiphop
und Punkrock ein, etwa von Slime und den Goldenen
Zitronen. Nachdem in Rostock-Lichtenhagen der Mob
tobte, wurde die „Poplinke“ ebenfalls kämpferisch, und
gleichzeitig war Techno ein deutsches Massenphänomen.
So entsteht nicht nur ein Überblick über jüngere
deutsche Geschichte unter Pop-Prämissen, so entwickeln
sich sehr gegenwärtige Diskursstränge. Wenn
linke und rechte Motive sich bei Umweltschutz und
Kritik an US-amerikanischer Politik treffen, irritiert das
auch in der gerade sehr hochtourigen Diskussion um den
Kampfbegriff der „Lügenpresse“ (der im konzentrierten
Film nicht vorkommt, aber, wie vieles, mitschwingen
kann).

Rennicke freut sich jedenfalls, wenn Xavier Naidoo, einer
der erfolgreichsten deutschen Popstars, in seinen Hits
rechte Positionen vertritt. Einen unkenntlich gemachten
Ausstiegsberater irritiert der „diffuse Nationalismus“,
den der Rapper Bushido, ebenfalls mit Migrationshintergrund,
in einem „martialisch“ und „sexistisch“
inszenierten Musikvideo befördere. Die jüngste Diskussion
um die Südtiroler Band Frei.wild, kommt auf dem
Umweg über den Laptop sogar in Form von Rede und
Gegenrede vor: Texte und Videos der Band zeugten von
„völkischem Denken“ und von „Piefigkeit“, kritisiert der
Experte mit der Sonnenbrille. Das sei „Geschmackssache“,
entgegnet ein in genau dieser Diskussion sichtlich
geübter Frei.wild-Musiker.

Wer recht hat, lässt der Film bei all diesen Fragen
offen. Schließlich ist Musik, wie vieles andere, Geschmackssache.
Und die nicht justiziable Anschlussfähigkeit
nach rechts, das zeigt der Film, ist Erfolgsprinzip
einiger deutschsprachiger Musiker. Wer kann schon
entscheiden, ob im Text des Rechtsrock-Songs „Dönerkiller“„
Täterwissen“ der NSU-Mörder steckt oder ob die
Mörder sich eher vom Song beeinflussen ließen.

Im Fernsehprogramm, das gerne Fragen beantwortet
und unbeantwortbare lieber umgeht, ist diese Offenheit
im Diskurs bei klarer Argumentationslinie bemerkenswert.
Positiv fällt auch auf, dass sich die Produktion
nicht so affirmativ aus dem ZDF-Programmarchiv bedient
wie sonst üblich. Die NSU-Mordserie kommt auch
in Form eines Ausschnitts aus der ZDF-Show „Akten
Aktenzeichen XY ... ungelöst“ aus der Zeit vor, in der die
breite Öffentlichkeit und Moderator Rudi Cerne nicht
im geringsten von rechtsextremen Tätern ausgingen.
Ähnlich aufschlussreich ist, wie Johannes B. Kerner im
Rahmenprogramm der Fußball-WM 2006 vor einem vor
schwarz-rot-goldenen Accessoires strotzenden Publikum
wiederum Xavier Naidoo ankündigt. In den 1980ern
dagegen, das hat der Film anhand alter Videoclips zuvor
gezeigt, war die heute omnipräsente (schwarz-rotgoldene)
Deutschlandfahne noch ein Accessoire der
NPD.

„Deutsche Pop Zustände“ ist ein ungeheuer dichter, aus
großem wie weitem Überblick entstandener, präzise argumentierender,
Entwicklungen aufzeigender und kluge
Fragen aufwerfender Film. Dass er wenige Antworten
gibt, erhöht seine Wirkung. Wer ihn gesehen hat, kann
lange über ihn diskutieren.

Und dass der Film auf seine puristische Weise exakt
jenes Konstruktionsprinzip benutzt, das zahllose belanglose
Musikshows privater wie öffentlich-rechtlicher
Sender verwenden, um Hits einzelner Jahrzehnte in
billig produzierten Unterhaltungssendungen wiederzuverwerten
- Songs werden angespielt und „Zeitzeugen“
erzählen, was ihnen dazu einfällt - ist ein weiterer,
vielleicht sarkastischer Kommentar der Autoren (die
mit „Monks - The Transatlantic Feedback“ 2008 einen
Grimme-Preis gewannen) zur Medien-Gegenwart.

Diesem Film, der seine Premiere am späten Mittwochabend
bei 3sat (als letzter Beitrag des Themenabends
„3sat thema: Rechts - extrem - gefährlich“) erlebte, ist
ein langes Weiterleben in möglichst vielen Kontexten
zu wünschen.

Veröffentlichung dieses Artikels mit freundlicher Genehmigung von:
 
Deutsche Pop Zustände (2015) on IMDb

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