Bei offenen Fenstern

von Robert Mießner (6.7.2010)
Der Floating di Morel-Backkatalog wird von Dietmar Posts und Lucía Palacios’ Film- und Musiklabel play loud! verlegt. »More Memory Than Now«, das Debütalbum, erschien 1995 auf Hidden Records, dem Label, das auch Ornament & Verbrechen (»On Eyes«, 1990), Harry Rag (»Trauerbauer«, 1992) und Doc Schoko (»Puppentanz«, 7’’, 1999) herausbrachte. »More Memory Than Now« klingt sommerlich-somnambul (»Dream There’s Humour«) oder gleich zeitlos entrückt (»Feeble-Minded«). Auf »Women Chrome« kommt ein unheimlicher Unterton hinzu, aber das und die meisten anderen Floating di Morel-Veröffentlichungen sind ein guter Soundtrack für den nächtlichen Gang bei gefühlten fünfundzwanzig Grad Celcius über die Warschauer Brücke, die Friedrichshain und Kreuzberg verbindet. Deutlich kratzbürstiger ist die EP »Takna, Pakna, G(k)ram...«, 1998 bei Toaster im Test erschienen. Man kann das getrost Lo-fi nennen. Charmant ist es allemal.
Dann aber »Real People Psych« (Marshypower, 2004), ein elegant-zerklüftetes Album, gemixt von DJ Jehova, On / Off, Brad Brett, Latence-Max Blanck und Beate Bartel. Auf »Sometimes« singen Drewitz und Blödorn im Duett zu einem minimalistisch-pulsierendem Beat. Mehr braucht es eigentlich nicht. Mit »Transnation« wird die Platte gar ruppig. Das Funkadelic-Cover »I’ll Stay« ist dafür schwer traumverhangen. »Said My Say«, das immer noch aktuelle Floating di Morel-Album, haben play loud! dann im vorigen Herbst herausgebracht. Erstaunliche Dinge passieren darauf. Nicht nur, dass einige der Songtitel von Wire stammen könnten (»G.C.55 Or The Idea Of North«, »J. Chase Hang Up«): Auch Floating di Morel machen mittlerweile so etwas wie Geometrie zum Meditieren. »Ois« beginnt mit einem stoischem Drumbeat aus dem Maschinenzimmer, dann setzen Trompete, Gesang und Stylofon ein. »Marlen« und »It Has Gone Well« könnten gute Singles abgeben. Man möchte diese Musik am liebsten durch Berlin tragen und kann es auch: Vielleicht findet sich in der einen oder anderen Kammer noch ein Walkman, wenn man sich das Album, dessen Cover an das der ersten Saints-LP erinnert, auf Kassette überspielen will. Ganz modern Gesinnte können es auch digital regeln. Übrigens, Floating di Morel tragen gerne Sonnenbrillen. Ihr Zimmerfenster bleibt im Film aber weit offen. Die einen nennen es Lärmbelästigung, die anderen eine Haltung.


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